11/14/2024 | News release | Archived content
Entsprechend selbstkritisch ist die eigene Einschätzung: Die meisten Verlage bewerten ihren KI-Reifegrad nur mit zwei von fünf Punkten. Was Redaktionen jetzt brauchen, sind klare Strategien und Investitionen in Know-how und Strukturen, um KI als Effizienz- und Kreativitätstreiber nutzen zu können.
"Die Möglichkeit der Ideenfindung mittels KI wird von Journalisten viel zu wenig genutzt, da diese Arbeitsweise für uns ungewohnt ist."
Effizienz und Entlastung: Der Booster für Routinetätigkeiten
Generative KI kann Routineaufgaben automatisieren und Mitarbeitende entlasten. Am stärksten wird das bislang beim Print-Layout genutzt, hier setzen bereits 61 Prozent der Verlage auf die KI-Unterstützung. Claudia Auer vom Verlag Nürnberger Presse beschreibt die Vorteile der Automation: "Wo früher den ganzen Tag am Layout einer Ausgabe gearbeitet wurde, schaffen wir dies heute in weniger als einer halben Stunde".
Auch die OVB Media hat mit der automatisierten Seitenproduktion und KI-Unterstützung im Beschwerdemanagement die benötigte Arbeitszeit um 60 Prozent reduziert. 280 eingesparte Arbeitsstunden pro Monat bedeuten für die Redaktion: Die gewonnene Zeit kann in investigative Recherchen und kreative Projekte fließen.
Die FAZ liefert ein schönes Beispiel, dass das auch Mehrwerte für die Leserinnen und Leser schafft. Dank generativer KI bietet die Nachrichten-App der Zeitung nun eine Zusammenfassung der wichtigsten Informationen eines Artikels. Die Kernbotschaften in jeweils vier Punkten kommen bei Lesern gut an, waren aber früher mangels redaktioneller Ressourcen nicht möglich. Produktentwicklerin Marina Sorg freut das doppelt: "Wir sparen also nicht nur Zeit in der Redaktion, sondern schaffen einen ganz neuen Wert für unsere Leserinnen und Leser."
Handlungsbedarf bei KI-Kompetenzen und Weiterbildung
Wesentliche Faktoren für einen erfolgreichen KI-Einsatz sind eine gute interne Koordination und ausreichende Weiterbildungsangebote. Chefredaktionen müssen sicherstellen, dass ihre Teams kontinuierlich KI-Kompetenzen aufbauen. Hilfreich sind interne KI-Multiplikatoren, die Wissen über die Anwendung und ethische Fragen von KI verbreiten. Sie können Kollegen bei der Transformation unterstützen und Ängste nehmen.
Die ungleiche Verteilung von KI-Wissen in Redaktionen sieht auch Ole Reißmann von der Spiegel-Gruppe als Problem. Er plädiert für einen Ausbau der Schulungsangebote und einen offenen Umgang mit den strukturellen Veränderungen. Viele Mitarbeiter fragen sich, was KI für ihren Job bedeutet. "Gegen Unsicherheit hilft nur aufklären, reden, diskutieren"
Wettbewerbsfähig durch strategische KI-Nutzung
Fast 87 Prozent der Befragten sehen generative KI als entscheidend für die Zukunftsfähigkeit der Medien. Dabei gilt: Je besser KI-Tools genutzt werden, desto höher ist der Reifegrad der Redaktion und desto positiver die Einstellung der Mitarbeitenden zur Technologie.
Dedizierte KI-Verantwortliche haben laut Report erst 40 Prozent der Verlage. In einigen sind bereits spezielle KI-Teams etabliert, zum Beispiel beim Handelsblatt: Seit 2023 steuert ein ressortübergreifendes Team für Künstliche Intelligenz die digitale Transformation. Ähnliche Schritte unternahm die Zeit Verlagsgruppe mit der Ernennung eines Director AI, der sämtliche KI-Initiativen zentral koordiniert. Solche Rollen helfen, die Technologie gezielt und konsistent zu entwickeln, statt sie fragmentiert und ohne feste Leitung zu nutzen.
Um dauerhaft wettbewerbsfähig zu bleiben, sollten Redaktionen ihren KI-Einsatz strategisch steuern und KI personell und strukturell stärker integrieren. "Medienunternehmen müssen KI als strategisches Mittel begreifen, um kreative Potenziale zu entfalten und am Markt relevant zu bleiben", bestätigt Holger Kansky vom BDZV.
KI und Vertrauen: Skepsis der Leser ernst nehmen
Während KI-Prozesse zunehmend akzeptiert werden, bleibt die Skepsis der Leserschaft gegenüber KI-generierten Nachrichten eine Herausforderung. Laut Reuters Institute empfindet etwa die Hälfte der Leser Unbehagen, wenn Texte hauptsächlich durch KI erstellt wurden - auch wenn Redakteure sei prüfen. Benjamin Piel, Chefredakteur des Mindener Tageblatts, warnt: "Die tollste Technik braucht dolle Überwachung." Menschen müssen stets die Kontrolle über die redaktionellen Inhalte behalten.
In einem Umfeld, in dem Vertrauen essenziell ist, sind ein transparenter Umgang und eine klare Kennzeichnung KI-generierter Inhalte essenziell, um Glaubwürdigkeit zu wahren und Leserakzeptanz zu gewinnen.
Neues Profil und Verantwortung: Rollenwandel im Newsroom
KI verändert nicht nur die Aufgabenbereiche in Redaktionen. Sie schafft auch neue Verantwortlichkeiten - und verlangt nach neuen Ansätzen. Dazu zählt die Implementierung von KI-Richtlinien, um die Nutzung verantwortungsvoll zu gestalten. So haben laut BDZV 70 Prozent der Verlage klare KI-Guidelines definiert. Sie geben Leitplanken für den KI-Einsatz vor und vermeiden Missbrauch und Unsicherheit. Ethische Standards bleiben für Qualitätsjournalismus unverzichtbar.
Viele Verlage verzichten konsequent darauf, originäre KI-Inhalte ohne menschliche Kontrolle zu veröffentlichen. Für sie ist die KI ein kreativer Assistent. Auch Michael Ringier vom gleichnamigen Schweizer Verlag sieht klare Regeln als Basis für Vertrauen: "Künstliche Intelligenz braucht menschliche Regeln, gerade wenn es um Journalismus geht".
Fazit: Der Weg zur KI-basierten Redaktion
Die Ergebnisse des KI-Reifegrad-Reports sind ein Weckruf für Chefredaktionen: Der technologische Fortschritt geht schneller voran als die strukturellen Anpassungen in den Redaktionen. Um die Effizienzpotenziale und Kreativchancen voll auszuschöpfen, muss KI als strategisches Element der Redaktionsarbeit fest verankert werden. Eine klare Roadmap zur Schulung und Weiterentwicklung des KI-Wissens, die Schaffung interner Strukturen für zentrale KI-Leitung und die konsequente Orientierung an ethischen Standards sind entscheidend, um die Chancen des KI-Einsatzes langfristig erfolgreich zu nutzen.