11/27/2024 | Press release | Distributed by Public on 11/27/2024 01:53
Um nach dem Hochwasser in Süddeutschland adäquate Hilfe leisten zu können, hat sich ein dreiköpfiges Team von ADRA Deutschland e.V. vor Ort einen ersten Überblick verschafft und mit vielen Betroffenen gesprochen. Hier ein Überblick über die Situation der Menschen und Einrichtungen.
ADRA Deutschland e.V. arbeitet bei Katastrophen wie dem aktuellen Hochwasser in Süddeutschland in mehreren Phasen. In der ersten Phase geht es darum, die Situation zu erfassen und den Handlungsbedarf nach der Katastrophe abzuschätzen. Am 10. und 11. Juni war daher ein dreiköpfiges Team in den betroffenen Regionen unterwegs, um dieses Lagebild zu erstellen. Vor Ort waren Niko Panic, Referent für nationale Fluthilfe und Nina Rodehorst, Referentin für Katastrophenrisikomanagement. Zudem Andreas Lerg, Pressesprecher und durch Ausbildung im Katastrophenschutz auch mit Hochwasserlagen vertraut. In dieser Übersicht finden Sie drei Beispiele für die Lage vor Ort.
In Offingen, wo die Mindel in die unmittelbar an der Gemeinde vorbeifließende Donau mündet, war vor allem die Siedlung nördlich der Bahnlinie vom Hochwasser betroffen. Die Keller der Häuser waren überflutet und in vielen Häusern stand das Wasser auch im Erdgeschoss. Ein junger Feuerwehrmann der örtlichen Feuerwehr wird seit dem Hochwasser vermisst. Die Suche nach dem 22-Jährigen läuft weiter, doch die Feuerwehrleute der Offinger Wehr sind laut Florian Haupteltshofer, stellvertretender Bürgermeister von Offingen, stark traumatisiert.
Die Aufräumarbeiten vor Ort sind im Gange. Nachdem die Straßen in den betroffenen Ortsteilen von Schutt und Schlamm befreit wurden, beginnen derzeit die Arbeiten in den Häusern. Viele freiwillige Helfer, z.B. von den Dachzeltnomaden, die bereits beim Ahrhochwasser 2021 im Einsatz waren, helfen, die Keller auszuräumen und das vom Wasser beschädigte Mobiliar aus den Häusern zu räumen. Die Gemeinde hat Bautrockner bestellt, um die ersten Häuser zu trocknen und zu entfeuchten. In der Siedlung rund um die Herrenwörthstraße riecht es überall stark nach Heizöl, so dass hier zu einem späteren Zeitpunkt wohl kontaminiertes Erdreich abgetragen werden muss. "Das Öl schwamm auf den Straßen und in manchen Gärten sieht man es immer noch", erklärt Florian Haupteltshofer.
Am Mittwoch, den 12. Juni, endete der Katastrophenfall, den das Land Bayern ausgerufen hatte. Solange dieser andauerte, übernahm das Land Bayern alle anfallenden Kosten. "Danach tragen wir Kommunen im Prinzip alle weiteren Kosten", erklärt Florian Haupteltshofer und nennt zwei Beispiele von vielen: "All die freiwilligen Helfer, die hier Großartiges und Unglaubliches leisten, müssen weiter verpflegt werden, denn hier ist noch lange und viel zu tun. Und die notwendigen Bautrockner, die angeschafft wurden, müssen bezahlt werden." Die Kosten, die auf die Gemeinde zukommen, übersteigen ihre finanziellen Möglichkeiten, so der stellvertretende Bürgermeister. Was in Offingen gilt, wird in vielen anderen Kommunen ebenfalls gelten. Das Hochwasser geht, die Katastrophe bleibt.
Das Tierheim Hamlar des Tierschutzvereins Donauwörth wurde vom Hochwasser schwer getroffen. Große Teile des Geländes und der Einrichtung hat die Donau überflutet. Mit einem Wall aus Sandsäcken gelang es den ehrenamtlichen Helfern, zumindest die höher gelegenen Bereiche vor dem Wasser zu schützen. Viele Gehege, z.B. für Ziegen oder zur Pflege verletzter Störche, die immer wieder in der Region aufgefunden werden, standen jedoch unter Wasser. Container, in denen Material, aber auch Futter gelagert wird, standen im Wasser und liefen voll. Am schlimmsten ist jedoch, dass der gesamte Keller bis zur Decke überflutet wurde. Dort befinden sich neben den Lagerräumen auch die Heizung und die Elektroverteilung.
Zu allem Überfluss darf das Wasser bis heute nicht abgepumpt werden. Das Hochwasser hat das Grundwasser stark ansteigen lassen, was Auftrieb erzeugt. Ohne die Wassermassen im Keller als "Gegengewicht" könnten Fundament und Bodenplatte brechen und das Gebäude im schlimmsten Fall sogar einstürzen. "Die Heizung ist ein Totalschaden, die Elektrik wahrscheinlich auch", erklärt Brigitte Scherb, Vorsitzende des Tierschutzvereins vor Ort in Hamlar.
Immerhin konnten alle Tiere vor der Flut in Sicherheit gebracht werden. Eines der neuen Hundehäuser samt Quarantänestation steht hoch genug, sodass man die Hunde aus den gefluteten Gehegen gemeinsam unterbringen konnte, wo sich die Hunde vertrugen. Viele andere Hunde und Tiere wurden in anderen Tierheimen untergebracht. Der Verein lebt von Spenden und muss nun auch die Folgen des Hochwassers bewältigen, denn: "Keine Versicherung nimmt einen in diesem Hochwassergebiet in den Elementarschutz auf", sagt Brigitte Scherb.
Im Kinder- und Jugendhilfezentrum St. Josef sind zum einen Kinder und Jugendliche im Alter von vier bis 16 Jahren in heilpädagogischen Wohngruppen dauerhaft untergebracht. Einige dieser Kinder mussten aus prekären familiären Verhältnissen herausgenommen werden und haben hier ein Zuhause gefunden. Darüber hinaus gibt es zwei heilpädagogische Tagesgruppen, in denen Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 13 Jahren tagsüber betreut werden.
Die über die Ufer getretene Paar, die nur wenige Meter am Standort vorbeifließt, überflutete das gesamte Erdgeschoss bis zu einer Höhe von einem halben Meter. Zwei halbgeschossig tiefere Kellerräume liefen voll. Einer wird als Theaterraum für die Kreativangebote für Kinder und Jugendliche genutzt, der andere ist der Heizungskeller. Eine der beiden Heizungsanlagen überstand das Hochwasser nicht. Auch die Elektrohauptverteilung im Erdgeschoss stand unter Wasser. Ebenso die Betreuungsräume der Tagesgruppen und die Großküche, von der aus die Kinder des Hauses mit Essen versorgt werden. Die konnte zwar gereinigt und repariert werden. Aber sie könnte trotzdem längerfristig ausfallen. Das erklärt Jochen Semle, stellvertretender Leiter des Kinder- und Jugendhilfezentrums St. Josef: "Wenn hier Wasser in den Estrich eingedrungen ist, wovon wir ausgehen, dann kann sich durch die Feuchtigkeit Schimmel und Ähnliches bilden. In so belasteten Räumen darf eine Großküche nicht betrieben werden. Dann muss der Boden und der Estrich komplett raus und komplett neu aufgebaut werden. Ein Gutachter hat Probebohrungen gemacht und klärt, ob genau das auf uns zukommt, nicht nur in der Küche, sondern dann natürlich im gesamten Erdgeschoss."
Eine Versicherung kann das Kinder- und Jugendhilfezentrum St. Josef nicht in Anspruch nehmen, denn für ein Objekt in einem solchen Hochwasserrisikogebiet bietet keine Versicherung Elementarschadendeckung an. Und im Altenpflegeheim St. Georg, nur wenige hundert Meter entfernt, bot sich dem ADRA-Team die gleiche Schadenslage dar.
Auch die malerische Innenstadt von Schrobenhausen lässt erahnen, was das Hochwasser hier angerichtet hat. Mitten in der Stadt türmt sich ein Berg aus Waschmaschinen, Trocknern, Möbeln und Bauschutt. Eben alles, was bei der Flut in den Kellern und so manchem Erdgeschoss "abgesoffen" ist und bisher ins Freie geräumt wurde. Die Bankfiliale der Volksbank vor Ort hat seit dem Hochwasser keinen Strom, nichts funktioniert. Andere Gewerbetreibende wie der Inhaber eines Döner-Restaurants sind zwar wieder am Netz, haben aber zuhause durch das Wasser große Schäden zu bewältigen.
Über ADRA Deutschland e.V.
ADRA Deutschland e.V. ist eine weltweit tätige Hilfsorganisation, die Projekte in der Entwicklungs-zusammenarbeit und Katastrophenhilfe durchführt. Die unabhängige Nichtregierungsorganisation wurde 1987 gegründet und steht der protestantischen Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten nahe. Nach dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe verbessert ADRA in partnerschaftlicher Zusammenarbeit die Chancen auf ein würdiges und selbstbestimmtes Leben. ADRA steht für Adventist Development and Relief Agency.
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Pressefoto: Das Hochwasser verschwindet, doch die Katastrophe bleibt herunterladen