07/31/2024 | Press release | Archived content
Bern, 31.07.2024 - Ansprache von Bundesrätin Karin Keller-Sutter am 1. August 2024 in New York (gehalten in Englisch)
Dear Mayor
Dear Swiss community
Dear guests
Ich hoffe, Sie vergeben mir die informelle Anrede - und meinen britischen Akzent!
Vor zwei Jahren warnte der Schweizer Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann davor, das Verhältnis zwischen der Schweiz und den USA zu romantisieren.
Der Begriff der «Sister Republics», schrieb er, sei trotz aller historischen Verbindungen irreführend. Er suggeriere eine Nähe, die es schon lange nicht mehr gebe und es wäre gefährlich zu meinen, die USA würden auf die Schweiz besonders Rücksicht nehmen.
Der Historiker hat natürlich Recht.
Die Weltmacht USA und die kleine, neutrale Schweiz haben nicht immer die gleichen Interessen und sie wählen immer wieder auch andere Wege, um ihre Interessen zu verteidigen.
Am heutigen Nationalfeiertag der Schweiz möchte ich hier in New York dennoch an die historischen Gemeinsamkeiten erinnern.
Die Geschichte unserer beiden Staaten ist zunächst eine Geschichte der gegenseitigen Inspiration.
Nehmen Sie den ersten Satz der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776:
"We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness."
Diesen Satz hätten die amerikanischen Verfassungsväter so wohl nicht geschrieben, hätten sie sich nicht mit den Werken der sogenannten Westschweizer Naturrechtsschule auseinandergesetzt - der «École romande du droit naturel», einer wichtigen Strömung der Aufklärung im 18. Jahrhundert, die ein modernes Naturrecht und Menschenbild begründete.
Es war denn auch ein Vertreter dieser Schule, der Genfer Jean-Jacques Burlamaqui, der den Begriff des «pursuit of happiness», des Strebens nach Glück, geprägt hatte, das zu einem zentralen Motiv des «American Way of Life» wurde.
Sieben Jahrzehnte später waren es dann die Schweizer Verfassungsväter, die sich von den USA inspirieren liessen.
Sie folgten 1848 unter anderem dem eindringlichen Appell des Schweizer Staatsphilosophen Ignaz Paul Vital Troxler, das amerikanische Zweikammersystem zu übernehmen.
Troxler war überzeugt, dass «wohl einzig und allein durch Einführung des Zweikammersystems, wie es in der Unionsrepublik besteht, zugleich den Kantonen eine gültige Garantie für ihre Existenz und Selbstständigkeit gegeben und eine Centralität im Bunde eingeführt werden kann, wodurch die Nation als Inbegriff aller Völkerschaften gemeint und gestärkt wird».
Der Entscheid, das Zweikammersystem auch in der Schweiz einzuführen, löste jedenfalls eine tagelange Blockade in der Verfassungskommission und ebnete so den Weg zur Gründung des modernen Schweizer Bundesstaats.
Was sind diese Gemeinsamkeiten heute wert?
Die freiheitlich-demokratische Idee ist unter Druck. In Europa führt Russland Angriffskrieg gegen einen demokratischen Nachbarn. Im Nahen Osten hat die brutale Attacke der Hamas gegen Israel Gaza in einen blutigen Krieg gestürzt. Chinas Machtansprüche im südchinesischen Meer führen zu gefährlichen Spannungen.
Die internationale Verschuldung hat ein besorgniserregendes Ausmass angenommen, sie gefährdet zunehmend die Resilienz der westlichen Staaten.
Albert Gallatin, der Genfer, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter Thomas Jefferson viele Jahre als strenger Kassenwart der USA gedient hatte, würde sich im Grab umdrehen.
Und das ist leider noch nicht alles. Klimawandel, Migration, Umbrüche in der Arbeitswelt verunsichern unsere westlichen Gesellschaften.
Populisten feiern Wahlsiege.
Das ist keine Kritik an den Wählerinnen und Wählern. Es ist ein Weckruf an die moderaten politischen Kräfte. Ein Aufruf, den Leuten zuzuhören.
Ich bin überzeugt: Sie erwarten keine einfachen, sie erwarten ehrliche Antworten. Es geht nicht um Heilsversprechen, sondern darum, die Debatte frei und friedlich zu führen und ernsthaft um die besten Lösungen zu ringen.
Das bedeutet auch: Offen sein für Kompromisse. So wie es Benjamin Franklin war, dessen Überzeugungen und Wirken einst in einem weisen Satz zusammengefasst wurden:
"Compromisers may not make great heroes but they do make great democracies."
Kurz: Es geht darum, die Demokratie zu leben.
Und damit komme ich zurück zu den Gemeinsamkeiten unserer beiden Staaten. Sie gründen wie erwähnt auf einer gegenseitigen geistigen Befruchtung.
Das war aber erst der Anfang.
Damit war das Fundament gelegt, auf dem die USA und die Schweiz zu den ersten dauerhaften republikanischen Demokratien der modernen Welt wurden.
Was für ein Vermächtnis!
Und es ist ein lebendiges Vermächtnis: Die USA und die Schweiz - das sind seit ihrer Gründung zwei Erfolgsgeschichten bis heute. Wobei sich der Erfolg der liberalen Demokratien nicht nur am Wohlstand messen lässt. Sondern vor allem auch an der Freiheit, der persönlichen und der wirtschaftlichen Freiheit.
Und diese Erfolgsgeschichten sollten uns motivieren, das Vermächtnis unserer Gründerväter zu verteidigen und zu pflegen. Das bedeutet nicht Stillstand. Die Zukunft lässt sich nicht aufhalten. Es bedeutet, die Zukunft weiterhin freiheitlich, demokratisch und rechtsstaatlich zu gestalten.
Aus der Überzeugung, dass nur die Demokratie in der Lage ist, unsere Freiheit zu sichern. Und dass nur frei ist, wer von seiner Freiheit auch Gebrauch macht, wie es in der Präambel der Schweizer Bundesverfassung steht.
Dear Mayor
Dear Swiss community
Dear guests
Was für eine Freude, heute mit Ihnen hier zu sein!
Ich möchte dem Bürgermeister danken, unserem Botschafter und all den Frauen und Männern, die diese 1. August-Feier möglich gemacht haben, hier, im ältesten Park von New York City.
Ein besonderer Dank an Sie, Chairman of the Bowling Green Association! Ich weiss nicht, ob es das erste Mal ist, dass das typische Schweizer Käse-Gericht "Raclette" im Financial District serviert wird. Sie können es mir nachher bei einem Glas Wein sagen.
Es ist jedenfalls ein sehr demokratisches Gericht, wenn es richtig serviert wird:
One person one slice!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Zuversicht in die Kraft der Demokratie, Mut zur Freiheit und einen grossen Appetit.
Je vous souhaite à toutes et à tous un magnifique premier août, geniessen Sie unseren Nationalfeiertag, godetevi la festa nazionale, danke, merci, grazie - thank you for your attention!
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