Kopenhagen, 30. Oktober 2024
Die Mitgliedstaaten in der Europäischen Region der WHO haben Dr. Hans Henri P. Kluge für eine zweite fünfjährige Amtszeit als WHO-Regionaldirektor für Europa nominiert, die im Februar 2025 nach seiner offiziellen Wahl durch den Exekutivrat der WHO beginnt.
In seiner Ansprache an die Delegierten auf der 74. Tagung des WHO-Regionalkomitees für Europa (RC74) in Kopenhagen brachte Dr. Kluge seine Dankbarkeit zum Ausdruck:
"Meine Tätigkeit als WHO-Regionaldirektor für Europa ist für mich die größte Ehre meines Lebens, und ich bin zutiefst dankbar - und zu Dank verpflichtet - angesichts der überwältigenden Unterstützung für meine Nominierung. Für meine im nächstem Jahr beginnende zweite Amtszeit wird meine erste Aufgabe darin bestehen, alle 53 Mitgliedstaaten in Europa und Zentralasien, aber auch sämtliche Partnerorganisationen im Gesundheitsbereich dazu aufzufordern, gemeinsam unseren nächsten fünfjährigen Plan, auszuarbeiten, die zweite Ausgabe des Europäischen Arbeitsprogramms", sagte Dr. Kluge.
"Wir werden weiter auf den zahlreichen Erfolgen der vergangenen fünf Jahre aufbauen, die wir in den Bereichen Pandemievorsorge, Stärkung der Gesundheitssysteme, psychische Gesundheit, digitale Gesundheit und Immunisierung erreicht haben. Aber gleichzeitig werden wir auch unsere Prioritäten auf wesentliche Handlungsfelder wie die Stärkung der nationalen Gesundheitssicherheit, die Bewältigung der gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise, den dringenden Handlungsbedarf im Kampf gegen antimikrobielle Resistenz und die Förderung eines gesunden Alterns inmitten eines rapiden demografischen Wandels ausdehnen. All dies wird durch eine neuerliche Schwerpunktlegung auf Frauen, Mädchen und Jugendliche ergänzt, namentlich durch eine Auseinandersetzung mit dem schädlichen Rückstoß gegen Maßnahmen für sexuelle und reproduktive Gesundheit und damit verbundene Rechte und mit der besorgniserregenden Zunahme geschlechtsspezifischer Gewalt."
Die Mitgliedstaaten auf dem RC74 erörterten auch Fragen der Zusammenarbeit mit WHO/Europa sowie auf nationaler Ebene bei der Auseinandersetzung mit vier dringenden Themen:
-
der Annahme eines Rahmens für die Schaffung widerstandsfähiger und nachhaltiger Gesundheitssysteme, die durch ein hohes Maß an Vertrauen, ein erneuertes Bekenntnis zur primären Gesundheitsversorgung und erhöhte Investitionen in das Gesundheitspersonal gestärkt werden;
-
der Stärkung der Vorsorge sowie der Reaktions- und Widerstandsfähigkeit bei gesundheitlichen Notlagen in der Europäischen Region, auch unter dem Schlagwort "Vorsorge 2.0" bekannt;
-
der Ausweitung der Kapazitäten im Bereich der medizinischen Notfallteams bis 2030 mit dem Ziel, ihren schnellen Einsatz bei akuten gesundheitlichen Notlagen zu gewährleisten, wo immer diese auftreten; und
-
der Ausarbeitung einer Strategie zur Nutzung von Innovationen im Gesundheitsbereich und von neu entstehenden Technologien in der Europäischen Region, die 2025 zur Zustimmung vorgelegt werden soll.
Widerstandsfähige und nachhaltige Gesundheitssysteme
Die Mitgliedstaaten erkennen die Notwendigkeit weiterer Investitionen in ihre Gesundheitssysteme und deren Stärkung auf der Grundlage der Lehren aus der COVID-19-Pandemie an. Letztendlich sind zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden der Bürger eine Reihe wesentlicher Maßnahmen erforderlich, etwa die Stärkung der primären Gesundheitsversorgung und der Rolle der Hausärzte, Investitionen in das Gesundheitspersonal von morgen durch angemessene Ausbildung sowie Personalgewinnung und -bindung, die gezielte Nutzung digitaler Lösungen und Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen und die Entwicklung nachhaltiger Finanzierungsmodelle, um den Gesundheitssystemen die nötigen Mittel für eine hochwertige Gesundheitsversorgung zu geben.
Dr. Kluge fügte hinzu: "Es ist an der Zeit, unsere Denkweise zu ändern und Gesundheit ein für alle Mal als eine wesentliche Investition und nicht nur als Kosten für die Steuerzahler zu begreifen. In unserer Region und in der ganzen Welt lässt sich belegen, dass Investitionen in das Gesundheitswesen keine Belastung für die Wirtschaft darstellen - im Gegenteil. So bringt das Gesundheitswesen vielfältigen Nutzen weit über Gesundheit und Wohlbefinden des Einzelnen und der Gesellschaft hinaus. Es sorgt für Wirtschaftswachstum und schafft Arbeitsplätze, trägt zum sozialen Zusammenhalt bei und verbessert die Effizienz der Beschäftigten, um nur drei Dinge zu nennen."
Vorsorge 2.0
Vorsorge 2.0 ist der neue Strategie- und Aktionsplan von WHO/Europa zur Verbesserung der Vorsorge für und der Reaktions- und Widerstandsfähigkeit bei gesundheitlichen Notlagen für die kommenden fünf Jahre (2024-2029). Mit dem Ziel, die Anstrengungen in der Europäischen Region zur Verhinderung bzw. Bewältigung gesundheitlicher Notlagen sowie zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit zu verstärken, hebt dieser vorausschauende Plan die Vorsorge auf die nächste Stufe, indem er auf den Lehren aus den jüngsten Krisen aufbaut.
"Wir haben die Gelegenheit, die Lehren von COVID-19 und anderen gesundheitlichen Notlagen zu beherzigen und sie auf strategische, ambitionierte, aber doch praktische Weise anzuwenden, damit wir besser für alle Eventualitäten gerüstet sind", sagte Dr. Kluge. "Die Einführung eines zweigleisigen Ansatzes, bei dem die Gesundheitssysteme die gesundheitliche Grundversorgung bereitstellen, gleichzeitig aber auch darauf vorbereitet sind, kurzfristig einen Gang hochzuschalten und auf gesundheitliche Notlagen zu reagieren, ist das Entscheidende. Vorsorge 2.0 ergänzt auch die derzeitigen Bemühungen der Mitgliedstaaten der WHO um Aushandlung eines globalen Pandemieabkommens sowie die vor Kurzem vorgenommenen Änderungen an den Internationalen Gesundheitsvorschriften."
Medizinische Notfallteams (EMT)
Der Aktionsplan der Europäischen Region für medizinische Notfallteams (2024-2030) ebnet den Ländern der Europäischen Region den Weg zur Einrichtung bzw. zum Ausbau ihrer eigenen Kapazitäten in Bezug auf medizinische Notfallteams. In diesem Plan wird durch die Unterstützung nationaler Bemühungen sichergestellt, dass in Krisenzeiten qualitativ hochwertige, lebensrettende Gesundheitsleistungen näher zu denjenigen gebracht werden, die sie benötigen. Die Europäische Region verfügt bereits über eines der stärksten EMT-Netze der Welt, das mehr als 85 Teams mit über 75 000 hochqualifizierten medizinischen Fachkräften umfasst und eine solide Grundlage für die Umsetzung des Aktionsplans bietet.
"Von Naturkatastrophen über Konflikte bis zu Krankheitsausbrüchen lautet die Zielsetzung bessere Vorsorge und schnellere Reaktion, damit jeder und jede überall die benötigte Hilfe erhält, wenn sie am dringendsten erforderlich ist. Wir haben die entscheidende Bedeutung medizinischer Notfallteams für unsere Rettungsmaßnahmen während des Kriegs in der Ukraine, der verheerenden Erdbeben in der Türkei sowie anderer klimabedingter Notlagen erkannt. Zusammen sorgen wir dafür, dass jedes Land in unserer Region gestärkt, gerüstet und bereit ist, mit Unterstützung durch medizinische Notfallteams auf ein breites Spektrum gesundheitlicher Herausforderungen zu reagieren", sagte Dr. Kluge.
Gezielte Nutzung von Innovationen im Gesundheitsbereich und von neu entstehenden Technologien
Angesichts einer Vielzahl von Krisen, der unerledigten Aufgaben im Bereich der nichtübertragbaren Krankheiten und der psychischen Gesundheit, einer alternden Bevölkerung und des Mangels an Gesundheitspersonal kann es für die Gesundheitssysteme in der Europäischen Region einfach kein "Weiter so" geben. Die Gesundheitspolitik muss Innovation als Kernprozess der Gesundheitsförderung annehmen. Die Europäische Region verfügt über zahlreiche Innovationszentren im Gesundheitsbereich, doch diese arbeiten oft isoliert voneinander, ohne Meinungs- und Ideenaustausch mit anderen Bereichen wie etwa dem öffentlichen Gesundheitswesen. Täglich kommen neue Lösungsmöglichkeiten hinzu, oft zu schnell, als dass die Regierungen sie bewerten, anpassen und übernehmen könnten. Deshalb arbeiten die Mitgliedstaaten gemeinsam auf eine Strategie zur Nutzung von Innovationen im Gesundheitsbereich und von neu entstehenden Technologien hin, die auf der Tagung des Regionalkomitees im nächsten Jahr angenommen werden soll.
"Wir haben grenzenlose Möglichkeiten zur Nutzung technologischer, sozialer und finanzieller Innovationen in der Europäischen Region", stellte Dr. Kluge fest. "Diese neuen Technologien können den Umgang mit den Patienten revolutionieren, bei der Bewältigung chronischer Erkrankungen behilflich sein, zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden beitragen und unser Gesundheits- und Pflegepersonal unterstützen. Doch trotz ihrer vielversprechenden Möglichkeiten nutzen wir noch nicht ihr volles Potenzial. Die Länder tun sich immer noch schwer mit der Bildung und Finanzierung von Partnerschaften mit Start-ups und Innovationszentren und mit einer ethisch vertretbaren und ausgewogenen Verteilung des Nutzens von Innovationen. Zusammen haben wir die Hoffnung, das ändern zu können, indem wir auf den soliden Grundlagen von Innovationen aufbauen, die wir in den letzten Jahren in den Bereichen digitale Gesundheit und neuartige Medikamente eingeführt haben."
Krise: der neue Normalzustand
Dr. Kluge begann seine erste Amtszeit als Regionaldirektor gerade als die COVID-19-Pandemie sich ausbreitete und überall Leben und Existenzen zerstörte und die Gesundheitssysteme wie nie zuvor unter Druck setzte. Als COVID-19 dann allmählich unter Kontrolle gebracht wurde, entwickelte sich in der Europäischen Region mit Mpox eine andere gesundheitliche Notlage, die alsbald zu einem weltweiten Problem wurde. Hinzu kamen extreme Wetterereignisse wie Hitzeperioden und Überschwemmungen, die Erdbeben in der Türkei und im Nordwesten Syriens sowie akute, jedoch anhaltende humanitäre Krisen in der Ukraine, in Gaza, in Israel und im Libanon. Die vergangenen fünf Jahre waren also von einem permanenten Krisenzustand - einer Permakrise - gekennzeichnet, die die Gesundheitssysteme und das Gesundheitspersonal in einer Vielzahl von Bereichen herausforderte.
"Die Festlegung und Umsetzung der wesentlichen Prioritäten für die fast eine Milliarde Menschen in Europa und Zentralasien durch die Mitgliedstaaten zeugt von einem erfreulichen Maß an Solidarität und Multilateralismus zu einer Zeit der Vertiefung von Misstrauen und Spaltung", sagte Dr. Kluge abschließend. "Gesundheit kann Länder und Gemeinschaften einander näherbringen und tut dies auch. Wir bei WHO/Europa sind dankbar für die Chance zur Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedstaaten und Partnerorganisationen, die dazu dient, die Zukunft der Gesundheit zum Nutzen aller zu gestalten."