German Federal Chancellor

11/28/2024 | Press release | Distributed by Public on 11/28/2024 11:40

„Fantastisches Beispiel gelingender Modernisierung“

"Heute fließt das Wasser der Emscher wieder glasklar und sauber", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz anlässlich der Festveranstaltung zum 125-jährigen Bestehen der Emschergenossenschaft. Die Genossenschaft habe ein "visionäres Generationenprojekt" geschafften. Viele Männer und Frauen hätten zum Gelingen des Emscherumbaus einen wichtigen Beitrag geleistet.

Das Jubiläum erzähle jedoch auch die Industriegeschichte Deutschlands. Von diesem "Emscher-Spirit" könne Deutschland heute profitieren, damit Industriearbeitsplätze im Land bleiben und Energiekosten sinken, betonte der Kanzler.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Gemeinschaftswerk für die Umwelt: Der Emscherumbau in eine saubere und naturnahe Landschaft ist ein "leuchtendes Vorbild für unser Land", so der Kanzler.
  • Industriearbeitsplätze in Deutschland erhalten: Die Chemie- und Grundstoffindustrie sowie die Automobilbranche stehen derzeit vor großen Herausforderungen. Deshalb wolle er die ganze Kette der Stahlproduktion in Deutschland haben und kämpfe für die Industriearbeitsplätze, machte der Kanzler deutlich.
  • Wettbewerbsfähigen Industriestrompreis schaffen: Noch dieses Jahr sollen, "wenn alle mitziehen", die Netzentgelte begrenzt werden. Ab 2025 spricht sich der Kanzler für einen festen Deckel aus, der die Kosten für die Übertragungsnetzentgelte halbiert und auf drei Cent festschreibt.
  • Für einen faireren, weltweiten Wettbewerb: Auf -Ebene müsse auf Dumping und marktverzerrende Subventionen reagiert und Fairness beim 2-Grenzausgleichssystem hergestellt werden.
  • Investitionen ermöglichen: Unternehmen, die in die Zukunft investieren, sollen gezielt steuerlich entlastet werden. Außerdem muss für Investitionen der Kommunen die Altschuldenfrage angegangen werden. Der Bund werde eine Lösung vorlegen, für die das Grundgesetz geändert werden müsste, so der Kanzler.

Lesen Sie hier die Mitschrift der Rede:

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Wüst,

sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Eiskirch,

sehr geehrter Herr Professor Paetzel,

meine Damen und Herren,

125 Jahre Emschergenossenschaft! Herzlichen Glückwunsch zu diesem Jubiläum, das wie kaum ein anderes die Industriegeschichte Deutschlands erzählt, die Geschichte eines unglaublichen Aufbruchs.

Mit dem Beginn der Industrialisierung entwickelte sich aus der vorher ländlichen Region hier zwischen Emscher und Ruhr in großem Tempo der damals größte industrielle Ballungsraum der Welt. Hunderttausende zogen aus anderen Regionen Deutschlands hierher. Viele Nachnamen im Ruhrgebiet zeugen heute noch davon.

Die Kehrseite dieses Aufbruchs: Kohlezechen und Stahlwerke, Fabriken und Brauereien, Millionen von Menschen - alle produzierten immer mehr Abwässer und Abfälle, die irgendwie entsorgt werden mussten. So wurde die Emscher vor einem guten Jahrhundert ganz offiziell zu dem umgewidmet, was sie fortan für Generationen von Bürgerinnen und Bürgern war: der zentrale Abwassersammelkanal des Ruhrgebiets oder - in schönstem Ruhrgebietsdeutsch - die Köttelbecke.

Dann kam 1992 der Emscherumbau, ein visionäres Generationenprojekt, das wie viele solcher Vorhaben erst einmal auf Kopfschütteln und Skepsis traf. Damals, vor drei Jahrzehnten, konnte sich so gut wie niemand vorstellen, dass aus dieser Kanalisation je wieder ein sauberer Fluss werden würde.

Nochmals drei Jahrzehnte früher, im Jahr 1961, hatte Willy Brandt gefordert: "Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden." Auch das konnte sich seinerzeit niemand vorstellen; auch das wurde damals als naives Wunschdenken abgetan.

Inzwischen ist der Himmel über Ruhr und Emscher längst wieder blau. Heute fließt das Wasser der Emscher tatsächlich wieder glasklar und sauber. Heute leben in der Emscher wieder knapp 20 verschiedene Fischarten, und - man kann es wirklich kaum glauben - an den Ufern wächst Wein. Eine der Reben habe ich selbst gepflanzt, als ich vor zwei Jahren in Castrop-Rauxel zu Besuch war. Ich nehme an, sie trägt noch nicht das, was man später trinken kann. Aber das soll ja werden.

Damals haben wir den Abschluss der Renaturierung der Emscher gefeiert, eines der weltweit größten Projekte dieser Art mitten in Deutschlands größtem Ballungsraum, möglich gemacht durch eines der größten und innovativsten Infrastrukturvorhaben in Europa - den Emscherkanal - mit neuen Großkläranlagen und Pumpwerken, mit insgesamt mehr als 430 Kilometern unterirdischen Kanälen.

Wenn wir heute "125 Jahre Emschergenossenschaft" feiern, dann ehren wir auch all die Männer und Frauen, die jahrzehntelang ihre Kraft und ihr Herzblut in dieses große Gemeinschaftswerk gesteckt haben. Sie haben uns allen gezeigt, dass es geht. Ihre Arbeit ist ein fantastisches Beispiel gelingender Modernisierung und ein leuchtendes Vorbild für unser Land.

Darum geht es mir heute hier in Bochum. Am Ende haben sich an der Emscher nicht die Skeptiker, die Mutlosen und die Meckerer durchgesetzt, sondern diejenigen, die an eine bessere Zukunft, an einen blauen Himmel über der Ruhr und an eine saubere Emscher geglaubt haben, die Zeit und Energie in dieses Projekt investiert haben.

Das ist für mich die Inspiration, die wir aus diesem Jubiläum ziehen können: Es kommt darauf an, dass wir uns mutige Ziele setzen und dann ganz pragmatisch Schritt für Schritt daran arbeiten, sie auch zu erreichen. Ob bei der Modernisierung unserer Wirtschaft, der Sicherung alter und der Schaffung neuer Arbeitsplätze, ob bei der Energiewende oder dem Ausbau unserer digitalen Infrastruktur, nur mit dem "Emscher-Spirit" kommen wir voran, mit einem entschiedenen: Wir packen das, weil wir anpacken. - Diesen Spirit brauchen wir gerade jetzt.

Wir alle spüren ja, dass wir in einer Zeit großer Umbrüche leben. Russlands furchtbarer Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Energiekrise als Folge auch hier bei uns, die gestiegenen Preise, Abschottungstendenzen auf den Weltmärkten - das macht etwas mit einem so starken, so weltoffenen Industrieland wie Deutschland.

Hier an der Ruhr und in ganz Nordrhein-Westfalen sind besonders viele energieintensive Industrien zu Hause. Sie alle wissen, wie sehr gerade diese Branchen im Moment zu kämpfen haben, wie sehr die Energiepreise ihnen zugesetzt haben, auch wenn sie inzwischen wieder in etwa auf das Vorkriegsniveau gesunken sind.

Da ist die Chemieindustrie, der wir mit einer gezielten Chemiestrategie unter die Arme greifen. Da ist die Automobilbranche mit ihren vielen Zulieferern. Und da sind hier im Ruhrgebiet natürlich auch Grundstoffindustrien wie die Stahlbranche, die am Anfang unzähliger industrieller Wertschöpfungsketten stehen.

Für mich ist klar: Stahl muss in Deutschland produziert und verarbeitet werden. Wir fördern den Umstieg auf klimafreundliche Produktion, auch hier im Ruhrgebiet, bei Thyssenkrupp zum Beispiel. Das verbinden wir dann aber auch mit der Erwartung, dass Produktion und Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben müssen.

Ich werde mit den Stahlunternehmen und der Gewerkschaft weiter daran arbeiten und mit ihnen zusammenkommen, um diese Produktion in Deutschland zu sichern. Sie darf nicht Stück für Stück immer kleiner werden - der Arbeitsplätze wegen und des Industriestandorts wegen.

Das ist doch klar: Es geht hier um eine geostrategische Frage. Wollen wir bei Stahl zum Beispiel, der ein Grundstoff ist, der noch Jahrhunderte eine große Rolle in unserem Leben spielen wird, der immer wieder neu verarbeitet wird, der für viele industrielle Prozesse von größter Bedeutung ist, nicht nur für das Automobil oder unsere Landesverteidigung, nicht alle Produktionsschritte auch hierzulande gesichert haben? Wir müssen das für unsere strategische Souveränität tun, und deshalb geht es um viele konkrete Fragen, aber in einem solchen Gespräch auch um die strategische Frage: Wollen wir die ganze Kette der Stahlproduktion in Deutschland haben oder nicht? Ich bin dafür.

Deshalb kämpfe ich für die Industriearbeitsplätze in Deutschland und für einen klaren, pragmatischen Kurs in Richtung Zukunft. "Pragmatisch" heißt: Wir folgen in Sachen Klimaschutz keinen wirklichkeitsfernen Wunschvorstellungen. Niemandem ist geholfen, auch dem Klima nicht, wenn wir in Deutschland und Europa so viel regulieren und vorschreiben, dass die energieintensive Industrie an Orte mit geringeren Umweltstandards abwandert.

Statt kleinteiliger Regulierung und Sanktionen brauchen wir klare Zielvorgaben und Verlässlichkeit auf dem Weg dorthin. Das beginnt bei den Energiepreisen. Unsere Industrie braucht günstige Energie. Deshalb haben wir beherzt gehandelt, als Russland seine Energielieferungen gekappt hat, und für Flüssiggasterminals und mehr Gaslieferungen von anderswo gesorgt. Deswegen haben wir energieintensive Unternehmen mit der Strompreiskompensation entlastet und die Stromsteuer auf das europäisch mögliche Mindestniveau gesenkt.

Worum wir uns nun als Nächstes intensiv kümmern, das sind die Kosten für den Netzausbau. Nach meinen Gesprächen mit Unternehmen, Gewerkschaften und Industrieverbänden ist klar: Alle - alle! - wollen die Entgelte für die großen Übertragungsnetze langfristig deckeln. Das schafft die Sicherheit, die unsere Unternehmen brauchen, um zu investieren und zu produzieren, und das sichert Arbeitsplätze. Noch in diesem Jahr können wir deswegen die Netzentgelte begrenzen - wenn alle mitziehen, das ist klar. Ab dem nächsten Jahr, ab 2025, wollen wir dann einen festen Deckel einführen, der die Kosten für die Übertragungsnetzentgelte halbiert und auf 3 Cent festschreibt. Das ist ein rundes Paket für wettbewerbsfähige Industriestrompreise auf lange Sicht.

Mehr Pragmatismus brauchen wir auch beim Wasserstoffhochlauf, der für die Industrie so wichtig ist. Zunächst einmal: Am Anfang muss die Frage, wann der Umstieg von Gas auf Wasserstoff stattfindet, nach wirtschaftlichen Kriterien ganz pragmatisch besprochen werden, auch mit der jetzt neu gebildeten Europäischen Kommission.

Dafür brauchen wir neben der Infrastruktur, die wir schaffen, aber auch genügend Wasserstoff, damit dieser Umstieg auch gelingt. Erst dann stellt sich die Frage, ob der Wasserstoff grün, blau, türkis oder sonst was ist. Die Maxime muss sein: weniger Konzentration auf das Ideale und Wünschenswerte, dafür mehr Fokus auf das Machbare und Wirksame.

Was wir neben günstiger Energie außerdem brauchen, das ist fairer weltweiter Wettbewerb. Dazu gehört, dass wir auf Dumpingund marktverzerrende Subventionen reagieren. Überkapazitäten etwa bei Stahl drohen unsere Industrie kaputt zu machen. Alles, was der Europäischen Kommission dagegen an Schutzmaßnahmen zur Verfügung steht, muss nun auch angewandt werden.

Fairness werden wir auch beim 2-Grenzausgleichssystem einfordern. Ein Exporteur in das außereuropäische Ausland darf nicht diskriminiert werden. Deshalb muss es Erstattungen geben und nicht nur Restriktionen beim Import. Deshalb wollen wir, dass diese Maßnahmen auch in Europa jetzt möglich gemacht und bald durchgesetzt werden.

Was wir - das will ich bei dieser Gelegenheit auch sagen, wir reden ja über Industrialisierung, die Folgen und wie es weitergeht - nicht brauchen, das sind zum Beispiel -Zölle, die in China produzierte Autos deutscher Hersteller teurer machen. Danach hat niemand gerufen. Es war ein interessantes Gespräch, das ich mit der Kommission hatte. Ich sagte: Ich habe mit allen Autoherstellern gesprochen, keiner will das, nicht nur in Deutschland nicht, auch anderswo. Warum macht ihr das? - Die Antwort steht noch aus, aber es wird ja verhandelt. Deshalb muss es jetzt zu einer Verhandlungslösung kommen.

Was wir übrigens auch nicht brauchen, das sind Strafzahlungen unserer Autohersteller an Brüssel, weil sie die -Flottengrenzwerte nicht einhalten. Ich finde, der Prozess der Elektrifizierung der Mobilität geht voran. Wer sich zum Beispiel Ford in Köln anschaut, der weiß, dort werden Elektrofahrzeuge hergestellt.

Wir brauchen keine Situation, in der gesagt wird: Jetzt, wo die Branche große Herausforderungen hat, soll sie einen Teil der Liquidität entzogen bekommen. - In die Modernisierung unserer Industrie muss investiert werden. Der Umstieg muss für alle klappen: für die Hersteller, die Zulieferer, die Beschäftigten und nicht zuletzt für die Autofahrerinnen und Autofahrer.

Klar ist: Unsere Wettbewerber schlafen nicht. Schon unter Präsident Biden haben die Industrieunternehmen mit großen Programmen und Steuervorteilen in die USA gelockt. Unter Präsident Trump wird das sicher nicht anders. Wenn wir also wollen, dass Unternehmen hier in Deutschland investieren, dann brauchen wir die richtigen Anreize.

Um es ganz klar zu sagen: Ich bin gegen all die kleinteiligen Förderprogramme und -töpfe, wie sie so manchem vorschweben, Programme, bei denen der Staat bis ins Detail vorgibt, in welche Technologie Unternehmen unter welchen Bedingungen zu investieren haben. So funktioniert Wirtschaft nicht!

Ich bin aber auch gegen pauschale Steuersenkungen, weil das keine Investitionen in Deutschland garantiert. Wer weiß, wo die Gewinne am Ende in der Welt investiert werden! Ich sage deshalb: Finanzielle Anreize müssen Produktion und Arbeitsplätze hier in Deutschland sichern. Mein Vorschlag lautet: Alle Unternehmen, die hier in die Zukunft investieren, egal ob in Digitalisierung oder klimafreundliche Energie, ob in neue Produktionsstätten oder moderne Maschinen, sollten steuerlich für diese Investitionen entlastet werden. Das wirkt sofort. Das stärkt den Standort. Das sorgt schnell für neues Wachstum, und das schafft Arbeitsplätze hier in Deutschland.

Meine Damen und Herren, ich möchte zum Ende noch einen Punkt aufgreifen, der nicht nur das A und O des Emscherumbaus war, sondern der auch ganz zentral für eine gute Zukunft unseres Landes ist. Um große Projekte für die Bürgerinnen und Bürger umzusetzen, braucht es Pragmatismus und Herzblut, Vision und Hartnäckigkeit. Aber es braucht auch die finanziellen Mittel. Mehr als 5 Milliarden Euro hat die Emschergenossenschaft investiert. Wohl niemand, der heute an diesem blaugrünen Fluss entlangradelt, käme auf die Idee, dass man dieses Geld vor 30 Jahren besser eingespart hätte, um die heutige Generation damit nicht zu belasten. Das wäre auch völlig absurd.

Deshalb müssen wir uns von dieser Vorstellung lösen, wenn es um Zukunftsinvestitionen geht. Unsere Straßen, unsere Brücken, unsere Bahn - all das dürfen wir nicht länger verfallen lassen. Das wäre die viel größere Hypothek für kommende Generationen. Wir müssen jetzt in die Digitalisierung investieren und in Zukunftstechnologien wie Halbleiter, Quantencomputer, Biotechnologie oder Batterietechnik, weil damit in Zukunft Geld verdient wird, auch im Industrieland Deutschland.

Deswegen werde ich für eine solide und verlässliche Basis für Investitionen in unserem Land werben, wobei das Wie zweitrangig ist. Wichtig ist, dass wir investieren. Unternehmen und Gewerkschaften, Verbände und Wissenschaft, internationale Organisationen wie der oder die , alle sehen das so - alle!

Allein in den Kommunen beläuft sich der Investitionsstau auf 186 Milliarden Euro. Ich weiß, viele von Ihnen kommen aus der Kommunalpolitik und -verwaltung. Gerade die Städte hier im Ruhrgebiet tragen immer noch schwer an den Folgen des Strukturwandels. Mit dieser Verantwortung sind viele viel zu lange alleingelassen worden. Das gilt insbesondere bei der Frage der Altschulden. Wir hatten im Vertrag über die Bildung der von mir geführten Regierung, also dem Koalitionsvertrag, vereinbart, diese Frage anzugehen. Das hat sich gezogen, aber wir unternehmen einen neuen Anlauf. Ich habe Finanzminister Kukies gebeten, einen Vorschlag für die dafür nötige Änderung des Grundgesetzes jetzt noch vorzulegen.

Was man mit klugen, weitsichtigen Investitionen erreichen kann, wo könnte man das besser sehen als hier? Deshalb werden wir dranbleiben, auch bei diesem Thema.

Ich wünsche Ihnen nach diesen gelungenen Investitionen, nach diesem langen Projekt einer Genossenschaft, die sich seit so vielen Jahren bewährt hat, alles Gute, eine schöne Feier und Glück auf!