German Federal Government

10/17/2024 | Press release | Archived content

„Ein klares Zeichen an die Ukraine“

Bundeskanzler Scholz bei seinem Eingansstatement zum Auftakt des Europäischen Rates.

Foto: Bundesregierung / Guido Bergmann

Die EU-Staats- und Regierungschefinnen und -chefs kommen am 17. Oktober in Brüssel zusammen, um über die Ukraine, den Nahen Osten, Wettbewerbsfähigkeit, Migration und auswärtige Angelegenheiten zu beraten. Kanzler Scholz verwies in seinem Eingangsstatement auf den Fokus des Treffens.

Das wichtigste aus dem Statement in Kürze:

  • Unterstützung für die Ukraine: Mit Blick auf den dritten Kriegswinter und die unverändert große Brutalität Russlands in ihrem Angriffskrieg gegen die Ukraine bekräftigte Scholz, dass Europa seinen Teil des 50-Milliarden-Dollar-Kredits für die Ukraine leisten wird. Das sei nicht nur ein Zeichen der Solidarität an die Ukraine, sondern auch ein klares Zeichen an den russischen Präsidenten: Die Unterstützung der Freunde der Ukraine wird nicht nachlassen.
  • Beratungen zum Nahen Osten: Nach dem furchtbaren Angriff der Hamas habe Israel das Recht, sich zu verteidigen - auch militärisch. Gleichzeitig müsse das Völkerrecht geachtet werden. Das perspektivische Ziel bleibe eine Zweistaatenlösung.
  • Wettbewerbsfähigkeit Europas: Bundeskanzler Scholz bekräftigte, dass Europa erheblichen Nachholbedarf in den Bereichen wirtschaftliches Wachstum, Produktivität und technologischen Fortschritt habe. Er warnte zugleich vor Zollkonflikten mit anderen Staaten, beispielsweise mit China. Europa müsse nun weitere Handelsabkommen mit Drittstaaten abschließen.
  • Asyl und Migration: Der Europäische Rat wird das Thema Migration und Asyl umfassend diskutieren. Bundeskanzler Scholz will eine rasche Umsetzung der im Frühjahr beschlossenen Reglungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) in die nationalen Gesetzgebungen erreichen. Klar ist für ihn aber auch, dass die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft von der Zuwanderung ausländischer Fachkräfte abhängt.

Lesen Sie hier die Mitschrift des Statements:

Bundeskanzler Olaf Scholz: Einen schönen guten Morgen! Wir werden heute mit dem ukrainischen Präsidenten zusammenkommen und noch einmal sehr intensiv über die Unterstützung Europas für die Ukraine sprechen. Sie ist notwendig. Der russische Angriffskrieg hält unverändert an, und zwar mit großer, großer Brutalität. Deshalb ist es vor dem dritten Kriegswinter wichtig, dass wir genau das tun, dass wir nämlich noch einmal klarstellen: Die Ukraine kann sich auf uns verlassen.

Das wird auch durch die Beschlüsse, die wir jetzt vorbereitet haben, und die Entscheidungen unterstrichen, die es möglich machen, dass Europa seinen Teil für den 50-Milliarden-Dollar-"loan" der G7-Staaten leisten wird. Das ist ein wichtiges Zeichen, ein klares Zeichen an die Ukraine, dass die Solidarität gewährleistet ist und man sich darauf verlassen kann, und ein klares Zeichen an den russischen Präsidenten, dass er nicht darauf spekulieren soll, dass die Unterstützung der Freunde der Ukraine nachlassen wird.

Gleichzeitig werden wir über die Lage im Nahen Osten diskutieren. Nach dem furchtbaren Angriff der Hamas auf Israel ist es immer wichtig, dass wir das auch hier weiterhin erörtern. Sie kennen meinen Standpunkt. Israel hat jedes Recht, sich gegen die Hamas zu verteidigen und sie auch militärisch zu bekämpfen. Gleichzeitig sind dabei alle Kriterien zu achten, etwa das Völkerrecht. Es geht um humanitäre Hilfe, die nach Gaza kommen muss. Es geht darum, dass der Krieg nicht immer weiter eskaliert. Es ist schlimm, dass der Iran Israel mit Raketen angegriffen hat. All das gehört zu den Dingen, die wir hier zu beraten haben.

Die Perspektive ist auch klar. Es muss eine Zweistaatenlösung geben, sodass Israelis und die palästinensische Bevölkerung in Westbank und Gaza friedlich nebeneinander und hoffentlich irgendwann einmal miteinander eine gute Zukunft haben. Auch das haben wir hier zu diskutieren.

Für mich aber ist klar, dass die Unterstützung Israels auch bedeutet, dass wir immer wieder auch die Verteidigungsfähigkeit Israels sicherstellen, etwa durch Lieferung von militärischen Gütern oder Waffen.

Für die Debatte hier spielt auch die Wettbewerbsfähigkeit Europas eine zentrale Rolle. Aus meiner Sicht geht es darum, dass wir das in den Mittelpunkt der Tätigkeit der künftigen Kommission stellen. Es ist offensichtlich, dass Europa Nachholbedarf hat, was Wachstumsperspektiven, Produktivität und technologischen Fortschritt betrifft. Deshalb muss die Europäische Union ihren Beitrag dazu leisten, dass das geht, insbesondere wenn es um industrielle Perspektiven und Wachstum und Sicherheit von Arbeitsplätzen geht.

Ich mache keinen Hehl daraus. Ich halte nicht sehr viel von Zollkonflikten. Das führt nicht weiter. Wir kennen die Welthandelsorganisation als Konfliktaustragungsmechanismus, und es wäre viel wichtiger, dafür Sorge zu tragen, dass sie wieder funktioniert, indem zum Beispiel China auf seine Sonderrechte als Entwicklungsland verzichtet, aber andere es auch möglich machen, dass die Schiedsgerichtsverfahren der Welthandelsorganisation wieder funktionieren.

Deshalb muss es auch mehr Handelsabkommen geben, damit Europa seine Rolle wahrnehmen kann. Es geht um Industriearbeitsplätze, Produktivität in Europa und in Deutschland. Sie wissen, ich habe jetzt sehr genau vorgeschlagen, wie wir uns unterhaken, damit wir um die Arbeitsplätze kämpfen können.

Auch ein Thema für die Beratungen heute wird die Frage von Asyl und Migration sein. Wir haben mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem einen großen Fortschritt erreicht. Auch Maßnahmen, die Einzelne wie zum Beispiel Deutschland mit seinen verstärkten Grenzkontrollen getroffen haben, haben zu einem erheblichen Rückgang der irregulären Migration und auch dazu geführt, dass die Rückführungen besser gelingen als in der Vergangenheit. Jetzt gilt es, daran weiterzuarbeiten.

Ich mache keinen Hehl daraus, dass es für mich wichtig ist, dass diese Verständigung über das Gemeinsame Europäische Asylsystem jetzt nicht nur allmählich umgesetzt, sondern forciert wird. Wir werden in Deutschland die dazu notwendigen Gesetze sehr schnell dem Deutschen Bundestag zuleiten. Aber es wäre gut, wenn das überall in Europa früher eingeführt werden könnte. Das gilt auch für das, was die Präsidentin der Kommission in ihrem Brief insgesamt geäußert hat, für andere Maßnahmen, die Effizienz steigern, etwa die Rückführungsrichtlinie, die jetzt auf der Tagesordnung steht und die wir baldmöglichst Gesetz werden lassen sollten, damit wir hierbei vorankommen.

Es gibt also viele wichtige Themen, die heute zu besprechen sind, und es ist auch der genau richtige Zeitpunkt dafür. Sie wissen, dass das Gespräch, das ich vor einiger Zeit mit dem ukrainischen Präsidenten hatte und das ich heute mit meinen Kollegen vertiefen kann, auch für die Beratungen wichtig ist, die ich morgen in Deutschland haben werde, wenn der amerikanische Präsident mich besucht.

Frage: Herr Bundeskanzler, was halten Sie von Rückführungszentren in Drittstaaten? Wo könnten solche überhaupt entstehen?

Bundeskanzler Scholz: Deutschland hat sehr klare Entscheidungen getroffen. Wir werden die Möglichkeiten, die wir haben, weiterhin nutzen, um Effizienz zu steigern, etwa im Rahmen effektiver europarechtskonformer Zurückweisungen. Auch dieses Konzept werden wir im Rahmen unserer Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems voranbringen.

Wenn man die Zahlen anschaut, dann ist klar, dass Konzepte, die ganz wenige kleine Tropfen darstellen, für ein so großes Land wie Deutschland nicht wirklich die Lösung sind. Denn tatsächlich hatten wir im vergangenen Jahr über 300.000, die irregulär nach Deutschland gekommen sind. Das ist viel zu viel.

Wir sind ganz klar: Wir brauchen ein System, das die Zukunftsfähigkeit unserer Volkswirtschaft ermöglicht, indem wir Zuwanderung von Fachkräften und Arbeitskräften möglich machen. Das haben wir mit unseren Gesetzen möglich gemacht. Wir müssen denen Schutz gewähren, die Schutz brauchen. Das werden wir auch immer tun und nicht zur Disposition stellen. Aber es kann nicht jeder kommen. Wir müssen uns nach unseren Regeln aussuchen können, wer kommt, und das haben wir mit den Präzisierungen ermöglicht.

Die Reduzierung der irregulären Migration ist die Voraussetzung für die Offenheit, die wir brauchen, auch für Arbeitskräftezuwanderung, und das entspricht genau dem Konsens, den die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hierzulande haben. Aber mal da 1.000 und mal da 2.000 ist zu wenig, wenn man von 300.000 herunterkommen will. Da sind wir allerdings erfolgreich und haben es jetzt geschafft, erhebliche Reduzierungen zu erreichen. Deutschland hatte in den letzten Monaten fast 50 Prozent weniger Asylgesuche als ein Jahr davor, und auch die Rückführungen sind vorangegangen. Anpacken ist wahrscheinlich das Beste, statt nichts tun und sich dann etwas ausdenken.

Frage: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

Bundeskanzler Scholz: Heute wird diskutiert werden; das, glaube ich, ist so. Wir werden darüber auch immer wieder sprechen, auch bei dem nächsten Rat, davon gehe ich fest aus. Eins ist ganz klar: Wenn jetzt das Gemeinsame Europäische Asylsystem schneller umgesetzt wird, und wenn wir bei der Effizienz zum Beispiel im Hinblick auf die Rückführungsrichtlinie vorankommen, dann hilft das schon. Wenn alle gemeinsam die Regeln, die wir haben, beachten, wären wir schon viel weiter.

Das ist ja das Thema, das ich auch als deutscher Bundeskanzler ganz stark betonen muss: Deutschland ist das größte europäische Land mit der größten Bevölkerung im Zentrum Europas, und mit Schengen, mit der Bewegungsfreiheit, mit der Freizügigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb Europas sind die Grenzkontrollen eigentlich an die Außengrenzen der Europäischen Union gewandert. Das muss dann aber auch funktionieren, so wie es innerhalb Deutschlands ja gut funktioniert und wo Solidarität zwischen den 16 Ländern das Prinzip ist, mit dem wir den Herausforderungen begegnen.

Das muss für die 27 Staaten in Europa auch gelten, und genau darum geht es ja mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, das ein großer Erfolg der von mir geführten Bundesregierung ist; denn wir haben es nach vielen, vielen Jahren der Debatte endlich geschafft, dass Europa erkennt, dass diese Sache nicht jeder einzeln gegen die anderen lösen kann, sondern dass es, wenn man ein so großer Raum mit einer gemeinsamen Außengrenze ist, auch nur gemeinsam geht.

Übrigens ist der Grenzschutz an den Außengrenzen selbstverständlich eine Sache, bei der wir auch gemeinsam dafür sorgen müssen, dass das effizient und gut funktioniert.

Frage: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

Bundeskanzler Scholz: Wir haben hier eine Entscheidung vorbereitet, die es möglich macht, dass wir unseren europäischen Teil auf alle Fälle gewährleisten können. Wir haben eine Gesetzgebung vorbereitet, die es möglich macht, dass wir bis zu 35 Milliarden Euro - also etwas mehr Dollar - zur Verfügung stellen können, damit die Ukraine weiß: Sie hat das Geld zur Verfügung, um sich zu verteidigen. Das ist fiskalisch abgesichert, das ist eingebettet in die 50 Milliarden Dollar Gesamtinitiative, und der europäische Anteil kann sinken, wenn die anderen ihren entsprechenden Anteil auch gewährleisten, sodass wir jetzt einen Rahmen haben, dass wir in diesem Jahr und ganz zügig die Entscheidung fertig bekommen. Klar ist, Europa leistet seinen Anteil, und wenn die anderen noch dazukommen - wonach alles aussieht -, dann wird es auch insgesamt diese große Summe werden.

Frage: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

Bundeskanzler Scholz: Es ist für uns klar, dass Straftäter zurückgeführt werden müssen. Wir haben einen Flug nach Afghanistan organisiert; es wird weitere geben. Selbstverständlich können Straftäter aus dem Land nicht in Deutschland bleiben. Auch da werden wir uns unverändert darum bemühen, die Rückführung von Straftätern auch zu gewährleisten. Aber das, was Sie gefragt haben, ist nicht die Voraussetzung dafür.

Frage: Herr Bundeskanzler, eine Frage zum Siegesplan: Das, was zuletzt gefordert wurde, wurde schon mehrfach abgelehnt. Was soll sich durch diesen Siegesplan jetzt … (akustisch unverständlich)?

Bundeskanzler Scholz: Es ist wichtig, dass wir jetzt mit dem ukrainischen Präsidenten gemeinsam sprechen. Ich selber habe das ja sehr ausführlich und nur zu zweit wiederholt in den letzten Wochen und Monaten getan und habe mich mit ihm sehr, sehr oft getroffen. Sie kennen die Haltung Deutschlands in den Fragen, die da berührt sind. An dieser Haltung wird sich auch nichts ändern. Ich will aber sehr klar sagen, dass das Wichtigste ja ist, dass wir die Solidarität organisieren und darüber sprechen, was geht. Da steht im Mittelpunkt, dass wir die Mittel bereitstellen, damit die Ukraine sich selbst verteidigen kann.

Ansonsten gibt es strategische Fragen zu diskutieren. Sie wissen, welche Entscheidungen ich getroffen habe, und an denen wird sich auch nichts ändern.

Schönen Dank!

Die wichtigsten Tagesordnungspunkte

Der Europäische Rat beschäftigt sich am 17. Oktober mit den Themen:

  • Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sowie die weitere Unterstützung der Ukraine und ihrer Bevölkerung.
  • Die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten, insbesondere die kritische Eskalation der Gewalt.
  • Langfristige Wettbewerbsfähigkeit sowie das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger.
  • Migrationsfragen und die Umsetzung des umfassenden Migrationskonzepts.
  • Das Europäische Semester und die länderspezifischen Empfehlungen hierzu.
  • Klimawandel und biologische Vielfalt mit Blick auf die anstehenden Klima- und Biodiversitätskonferenzen COP 29 und COP 16.
  • Auswärtige Angelegenheiten, wie die Entwicklungen in Georgien, Moldau, Venezuela und im Sudan.

Ausführlichere Informationen zu Inhalten und Standpunkten der Tagesordnungfinden Sie auf der Seite des Europäischen Rates.